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Die Äquivalenzrelation

 

06.09.09

 

Die Äquivalenzrelation

 

Sie fällt mit ihren 3 Eigenschaften einfach so vom Mathematik-Himmel herunter – und keiner weiß, wo sie herkommt, noch, was sie bedeutet. Sie ist einfach 'da' – einfach so, zum Auswendiglernen.

 

  • 1. Reflexivität 2. Symmetrie 3. Transitivität
  • Meiner Ansicht nach einzig interessant und weiterführend diesbezüglich ist der Begriff der 'Äquivalenzklassen'. Wikipedia bringt dafür:

     

    1. <Ein Beispiel aus der Landwirtschaft soll die eingeführten Begriffe vorweg verdeutlichen. Betrachten wir die Menge aller Nutztiere in einem landwirtschaftlichen Betrieb. Wir definieren nun eine Relation: Wir sagen, zwei Tiere stehen in Relation zueinander, wenn sie von derselben Art sind. Die Kuh Kathrin zum Beispiel steht mit dem Ochsen Otto in Relation, aber nicht mit dem Huhn Heidi. Diese Relation ist eine Äquivalenzrelation: Jedes Tier ist von derselben Art wie es selbst (= „reflexiv“). Ist ein Tier von derselben Art wie das andere, dann ist das andere auch von derselben Art wie das eine (= „symmetrisch“). Wenn Kathrin und Lisa von derselben Art sind und Lisa und Otto von derselben Art, dann sind Kathrin und Otto von derselben Art (= „transitiv“) – alle drei sind Rinder. Eine Äquivalenzklasse besteht hier also aus den Tieren einer Art. Zum Beispiel bilden Hühner eine Äquivalenzklasse und die Rinder eine andere Äquivalenzklasse.>

     

    2. Beispiel: <Schulklassen. Die zugrundeliegende Menge M ist die Menge aller Schüler auf einer Schule; zwei Schüler seien äquivalent, wenn sie in dieselbe Klasse gehen.

    • Äquivalenzklasse eines Schülers ist die Menge aller seiner Mitschüler der gleichen Schulklasse. (Ihn selbst mit eingeschlossen → Reflexivität)
    • Die Menge der Äquivalenzklassen ist die Menge der Schulklassen.>

 

Abgesehen davon, daß hier (selbstverständlich - wie üblich!) noch entscheidende Erklärungen fehlen (z.B. die Frage: kann man ‘Realation’ einfach so willkürlich definieren? Oder wieso ist hier bei den Schülern die ‘Äquivalenz’ schon vorausgesetzt, die doch erst gezeigt werden soll, indem die 3 Eigenschaften aufgezeigt werden?), konnte ich bisher ansonsten im Web (per Google) kaum mehr etwas philosophisch Erhellendes über mathematische 'Äquivalenz' finden - beispielsweise über Geschichte und Bedeutung dieser 3 Eigenschaften der Äquivalenzrelation.

Wobei selbst das hier bei Wikipedia über die  'Äquivalenzklassen' dankenswerterweise an realen Beispielen gefundene leider nix weiterführend philosophisch oder didaktisch erklärt. Es sei denn, man hätte den Mut, sich ein paar  wenige eigene Gedanken zu machen. Z.B. die Frage: wo gilt die Äquivalenzrelation nicht?  Etwa die Frage:  ist es noch Mathematik, wenn Freundschaft (oder Vertrauen) nicht transitiv ist? (also: Dein Freund ist nicht unbedingt - transitiverweise -  auch mein Freund). Oder auch als Asymmetrie: Anton betrachtet sich als Freund von Berta - aber umgekehrt Berta betrachtet sich nicht als Freundin von Anton. Manchmal gilt sogar die Reflexivität nicht: bin ich wirklich selber mein Freund, mag ich mich selber?

Vielleicht sollte man explizit sagen (und anhand von Beispielen begründen): sobald man effektiv Mathematik betreibt, hat die Transitivität zu gelten. Und dann wäre natürlich interessant festzustellen, was alles aus dem Raster der Mathematik notwendigerweise herausfällt (z.B. Freundschaft und Vertrauen und alles sonstige Nicht-Transitive und insofern ‘qualitative’(?), ‘einmalige’ (?)). Man könnte dann etwa weiterführend fragen, was Mathematik (z.B. mathematische Statistik) und mathematische Physik deswegen definitiv nicht erfassen kann? - Aber das sind jetzt wirklich nur vage Vermutungen und erste hypothetische Tastversuche eines Laien.

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Sehr schön auch zu sehen, wie diese vom Himmel heruntergefallene Mathematik durch die Welt geistert, wenn man sich die folgende Website anschaut:

Hier ist ein Beispiel zu Äquivalenzklassen

Was  sich hier meiner Ansicht nach offenbart, ist eine vollständige Fremdheit – oder besser gesagt Entfremdung - gegenüber  mathematisch-philosophischer Erkenntnis seitens der Schüler und Studenten, die diesem Fach offenbar ziemlich hilflos ausgesetzt sind.      

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Es scheinen allerdings die Äqivalenzklassen so eine Art Königsweg der (modernen?) Mathematik zu sein, wenn man Prof. Eberhard Schock bei seinem Vortrag lauscht:

<Machen Sie sich klar, eine welch abstrakte Leistung es für ein kleines Kind ist, von den verschiedenen Grüntönen auf verschiedenen Gegenständen auf die gemeinsame Benennung Grün zu kommen. Ein Gleiches ist´s mit dem Zahlbegriff: kleinen Kindern fällt es noch schwer, zwei und zwei als vier zu erkennen, viel eher können sie feststellen, daß zwei Äpfel hier und zwei Äpfel dort zusammen vier Äpfel sind. Hier sehen wir, wie der Vorgang "Bildung der Äquivalenzklasse aller mir bekannten Mengen, auf die ich die Handelsvorschrift "Zwei" anwenden kann" vor sich geht. Deshalb ist nach dem Scheiden und Benennen die Fähigkeit, Äquivalenzklassen zu bilden, eine grundlegende Fähigkeit menschlichen Denkens.>

<Ich hatte gesagt, daß wir eigentlich schon als kleine Kinder beim Kennenlernen der Farben das Denken in Äquivalenzen, sogar in unscharfen Äquivalenzen, erlernen und daß ich diese Art des Denkens für eine immanente Eigenschaft menschlichen Denkens halte. Dennoch habe ich den Eindruck, den ich leider nicht statistisch untermauern kann, daß diese Denkart in der Bevölkerung oder auch in der gebildeten Bevölkerung nicht die Ausprägung hat, die sie verdient. Mathematiker üben diese Art und üben, sie nutzbringend zu verwerten. Wir finden sie in jedem Bereich der Mathematik Wir bilden die Klasse der normierten Vektorräume, die Klasse der vollständigen normierten, die Klasse der lokalkonvexen oder die Klasse der topologischen Vektorräume. Und wir behandeln ihre charakterisierenden Eigenschaften, stellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten heraus, bewerten die Unterschiede nach verschiedenen Gesichtspunkten.

Auf diese Weise gewinnen wir im "Chaos" aller topologischen Vektorräume Strukturen, sehen, wo noch Lücken geschlossen werden müssen und kommen so zu einer Ordnung und zum (vollständigen) Verständnis der topologischen Vektorräume. So geschieht das natürlich auch in anderen Bereichen der Mathematik und so lernt es jeder Student der Mathematik.

Da wir bei der Bildung einer Äquivalenzklasse von Dingen, die eine gewisse Eigenschaft haben, uns in der Auswahl der Dinge nicht sehr einschränken, sind wir nicht überrascht und sind wir offen dafür, in solch einer Klasse sehr unterschiedliche Dinge versammelt zu finden.>

 

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Wichtig ist es außerdem, erst mal zu wissen, was überhaupt mathematisch gesehen eine Relation ist.

Da bringt ein TedStriker in dem Frage-Forum  “wer-weiß-was” die folgende interessante Passage:

<Nun muß man noch wissen, was allgemein eine Relation ist. Es sei A eine Menge, dann ist AxA die Menge aller Elementpaare (a,b) für die gilt, daß a und b Elemente der Menge A sind. Eine Teilmenge von AxA heißt Relation.>

Wenn ich den TedStriker jetzt richtig verstehe, kann ich mir beliebige Elementpaare herausgreifen und sage: “Ha - das nenne ich jetzt die Relation beliebig herausgreifen.” Entsprechend geartet sind auch manche Beispiele von Ted.

1. 100 Mitglieder eines Vereins (= Menge A) losen beliebige Paare a, b aus, indem sie aus 2 Sektkübeln Visitenkarten herausziehen. Das könnte man die Sektkübel-Relation nennen. Diese Paare stehen also in der Sektkübel-Relation zueinander: a Rs b

2. Die Relation der unmöglichen Schachgegner in einem Schachverein: Diese Relation besteht aus Schachspielern, die gegen sich selbst spielen: a Ru b, wobei a=b ist,  was in einem Schachverein wenig Sinn macht. Im Schachverein ist also die Reflexivität nicht gültig.

3. Die verheirateten Paare einer Menge haben die Relation verheiratet miteinander: a Rv b. Auch hier ist man übrigens nicht mit sich selbst verheiratet, d.h. die Relation ist nicht reflexiv. Auch ist die Relation nicht transitiv: Wenn Anna mit Billy verheiratet ist, kann Billy nicht mehr legal mit einer Erna verheiratet sein. Und selbst, wenn Billy Bigamist wäre, und zusätzlich noch mit Erna verheiratet wäre, so  wäre Anna nicht auch noch mit Erna verheiratet.

Jetzt erst kommt die Sonderstellung der Äquivalenzrelation im Rahmen der Relationen ins Spiel.

Allerdings sollten wir uns zunächst noch mal die Wikipedia zum Thema Relation reinziehen:

<Wenn nicht ausdrücklich etwas anderes angegeben ist, versteht man unter einer Relation eine zweistellige oder binäre Relation, also eine Beziehung zwischen je zwei Dingen; diese bilden dann genau geordnete Paare. Stammen die Elemente eines Paares (a,b) aus verschiedenen Grundmengen A und B, so heißt die Relation heterogen oder „Relation zwischen den Mengen A und B“. Wenn die Grundmengen übereinstimmen, A = B, heißt die Relation homogen oder „Relation in bzw. auf der Menge A“.

Wichtige Spezialfälle, zum Beispiel Äquivalenzrelationen und Ordnungsrelationen, sind Relationen in einer Menge.>

Also hat TedStriker ganz recht, wenn er lediglich die eine Grundmenge A voraussetzt, wenn er auf die Äquivalenzrelation hinsteuert.

Dennoch möchte ich hier einmal innehalten und mein Staunen kundtun über diese absolut phantastische Definition der Relation!

Einfach nur (irgendwelche) 2 Elemente einer Grundmenge zusammengebracht ergibt schon eine ‘Relation’ - oder mehrere solcher 2 Elemente - großartig! Das nenne ich Freiheit des Geistes!

 

Um noch mal auf das obige Beispiel mit dem Verheiratet-Sein zurückzukommen. Es ist offenbar ein Unterschied, ob ich in einer Menge von 100 Party-Gästen die Relation “verheiratet mit” nehme oder die Relation “verheiratet”. Verheiratet mit ist eine ziemlich spezielle Angelegenheit und wie schon oben angemerkt fehlen zwei Merkmale der Äquivalenzrelation, nämlich die Selbstbezüglichkeit (Reflexivität): ich bin nicht mit mir selbst verheiratet und die Transitivität, die nicht mal im Falle der Bigamie gilt. Lediglich die Symmetrie gilt: Wenn Paul mit Emma verheiratet ist, so ist auch Emma mit Paul verheiratet. Dagegen die (allgemeine) Relation verheiratet ist jedoch in der Tat eine echte Äquivalenzrelation: 1. Reflexivität: jeder Verheiratete gehört selber zur Klasse der Verheirateten. 2. Symmetrie: Wenn er auf einen anderen Verheirateten trifft, kann sowohl a zu b sagen: Du bist verheiratet, als auch b zu a sagen: Du bist ebenfalls verheiratet. 3. Transitivität: Wenn nun b desweiteren auf einen c trifft, der ebenfalls verheiratet ist, und dies dem a erzählt, so können a, b und c erkennen, daß sie alle zum gleichen Club der Verheirateten, d.h. zur gleichen Äquivalenzklasse innerhalb der Party-Gäste, gehören. Das Beispiel ist somit ganz analog zum obigen Wikipedia-Beispiel von der Schulklasse.

Bei statistischen Überlegungen wäre die Relation: Paul ist verheiratet mit Emma ziemlich uninteressant, weil viel zu einmalig oder anders ausgedrückt: viel zu ‘qualitativ’. Dagegen, die Äquivalenzklasse der Verheirateten mit der Äquivalenzklasse der Unverheirateten innerhalb der Menge der 100 Party-Gäste zu vergleichen, dürfte statistisch gesehen schon wesentlich interessanter sein. - Das wäre möglicherweise ein Indiz dafür, warum Äquivalenzklassen in der Mathematik (speziell in der Statistik) so eine hervorragende Rolle spielen.

 

In seinem Buch über die Geschichte der statistischen Denkweise (das auszugsweise bei Google bücher zu finden ist) schreibt Alain Desrosières in der Einleitung:

<...Wie die Etymologie des Wortes zeigt, hängt die Statistik mit dem Aufbau des Staates, mit dessen Vereinheitlichung und seiner Verwaltung zusammen. All das beinhaltet die Aufstellung von allgemeinen Formen, Äquivalenzklassen und Nomenklaturen, die über die Singularitäten der individuellen Situationen hinausgehen - sei es durch die Kategorien des Rechts (juristischer Standpunkt) oder durch Normen und Standards (Standpunkt der Verwaltungsökonomie und der wirtschaftlichen Effektivität). Der Kodierungsvorgang, bei dem eine Zuordnung von Einzelfällen zu Klassen erfolgt, ist eines der wesentlichen Merkmale des Staates, die er durch und über seine Behörden zum Ausdruck bringt. Beide Vorgänge, das heißt die Definition von Äquivalenzklassen und die Kodierung, sind die konstituierenden Schritte der statistischen Arbeit (Kapitel 8)...> (S.10)

Alain Desrosières: Die Politik der großen Zahlen: Eine Geschichte der statistischen Denkweise, Springer, Berlin 2005.